Interview: Wie kann Globales Lernen gelingen?

Die UNESCO sieht „Globales Lernen“ als wesentliches Handlungsfeld einer „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE). An Schulen steht bisher Umweltbildung eher im Fokus. In diesem Interview mit Martin Göb-Fuchsberger, Leiter der Arbeitsgruppe BNE im BLLV, zeigen Jana Katharina Funk, (ehemalige) Leiterin der Regionalen Bildungsstelle Bayern im Eine Welt Netzwerk Bayern e.V., und Alejandro Ceballos, Referent im Programm „Bildung trifft Entwicklung“, wie „Globales Lernen“ an Schulen gelingen kann. / Stand Anfang 2022

Inhalt/Fragen:

Frage 1: Bei BNE und Nachhaltigkeit denken Viele vor allem an Klima- und Umweltschutz. Warum ist „Globales Lernen“ in diesem Zusammenhang genauso wichtig?

Alejandro Ceballos: „Der vom Menschen verursachte Klimawandel und die Zerstörung der Umwelt sind ein gesellschaftliches Phänomen. Die historische Verantwortung für die aktuelle Klima- und Umweltkrise liegt größtenteils auf den Schultern der westlichen Zivilisation. Der Kern dieser Krise ist die Wahrnehmung der Natur als ein Objekt, das gemessen und ausgebeutet werden kann. In dieser Denkweise werden die Natur und die menschlichen Kulturen vereinfacht und optimiert, um einen Output in Form von Waren und Dienstleistungen zu produzieren. Der Glaube, dass hochkomplexe Systeme einfach auf Systeme zur Produktion von Waren und Dienstleistungen reduziert werden können, ist eine sehr enge Denkweise, die uns allein nicht helfen kann, die aktuellen Krisen wie die Klima- und Umweltkrise, Rassismus, menschliche Ausbeutung und die Zunahme von Konflikten in der ganzen Welt zu bewältigen.

Wir brauchen einen breiteren Blick auf die Realität. Wir müssen unsere Augen für anderes Wissen, andere Denk- und Gefühlsweisen öffnen.Es ist allgemein bekannt, dass andere Kulturen einen völlig anderen Umgang mit der Natur pflegen. Dies sind Wissensquellen, die uns helfen können, die komplexen Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir heute stehen. Dies ist meiner Meinung nach die wichtigste Rolle beim Globalen Lernen.“

Jana Katharina Funk: „Die in der Frage angesprochene Trennung zwischen Klima- und Umweltschutz oder Globales Lernen begründet sich in verschiedenen wissenschaftlichen Forschungsrichtungen und in der Verteilung von Fördergeldern. […] Anstelle von Trennlinien, brauchen wir meines Erachtens mehr Zusammenarbeit in der Bewusstseinsbildung für globale Herausforderungen. Wir können diese Herausforderungen eben auch nur dann meistern, wenn wir es schaffen, uns zusammenzutun und Differenzen nicht unbedingt nivellieren zu wollen, sondern auch aushalten zu lernen.
 […]
 Das heißt, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung immer auch mit Fragen globaler sozialer Gerechtigkeit, globalen Fragen zu politischer Macht und Ohnmacht, globalen Fragen zu kultureller Teilhabe und globalen Dialogen zu Wissen (um Nachhaltigkeit) einhergeht. Wenn wir über Klimaschutz sprechen, ist es daher auch wichtig über Klimagerechtigkeit zu sprechen und darüber nachzudenken, wer in der Verantwortung für die Klimakrise steht und wer darunter zu leiden hat. Es ist auch wesentlich, sich damit auseinanderzusetzen, wem in einem globalen Dialog zugehört wird und wer politisch mitentscheiden kann. Oder anders gesagt, es ist wichtig darüber nachzudenken, welche Verbindungslinien es zwischen der Klimakrise, globaler Ungleichheit, Privilegien, Konsumgewohnheiten, kolonialer Ausbeutung, Rassismus und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem gibt. Globales Lernen unterstreicht jene Wichtigkeit, kritisch und komplex zu denken und große Systemfragen zu stellen. Dies ist meines Erachtens ein ganz wichtiger Beitrag für eine globale nachhaltige Entwicklung.“

Frage 2: „Globales Lernen“ ist keine neue zusätzliche Aufgabe, sondern bereits in den Lehrplänen verschiedener Fächer verbindlich vorgesehen. Wo sehen Sie die größten Potenziale? Welche Themen bieten sich besonders an, auch in Verbindung mit Umweltbildung?

„Ich denke, dass Globales Lernen eine grundlegende Rolle bei Themen wie Ethik, Menschenrechte, Gender, Rassismus, Frieden und Gerechtigkeit spielt. Die Auswirkungen der industrialisierten menschlichen Gesellschaften auf die Umwelt sind seit langem gut untersucht, dokumentiert und erlebt. Es gibt eine Reihe von Themen, Programmen und Lehrplänen für die ersten Bildungsstufen bis hin zur Hochschulebene zu Themen wie Energie, Abfall, Klima usw. Themen wie Menschenrechte, Ethik, Geschlecht usw. sind jedoch Themen, die ich in Programmen, die sich mit Umwelt und Klimawandel befassen, nicht sehr häufig finde. […] Es ist bekannt, dass der Kern der Zerstörung von Ökosystemen, der Ausbeutung von Menschen und der Klimakrise darin liegt, wie die eurozentrisch-modernen Gesellschaften die Natur wahrnehmen und bewerten. Hier spielt das Globale Lernen eine herausragende Rolle. Es gibt eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten, die Natur und das menschliche Leben wahrzunehmen und zu bewerten.

Es gibt eine große Vielfalt an Weltanschauungen, spirituellen Konstrukten und moralischen und ethischen Systemen, die die Dichotomie Mensch-Natur nicht anerkennen, die die Rolle aller biotischen und abiotischen Elemente als grundlegende Bestandteile ihres Glaubens, ihrer spirituellen, epistemischen und ethischen Systeme anerkennen und in denen die Vielfalt von Geschlecht und Hautfarbe als Teil der natürlichen Vielfalt angesehen wird. Systemen, wo Natur und Gesellschaft nicht auf die Logik der Produktion und Reproduktion reduziert werden, um die Erzeugung von Nutzen, Dienstleistungen, Güter und Funktionen zu maximieren. Ein Ökosystem von Weltanschauungen mit all ihren unterschiedlichen ethischen, spirituellen und menschenrechtlichen Systemen sollte in unserer Gesellschaft ein Thema sein, das diskutiert wird. Dieser Reichtum an Wissen, Gefühlen und Wahrnehmungen kann uns bei der Bewältigung der komplexen und vielfältigen Krisen, mit denen wir heute konfrontiert sind, weiterbringen, und die Bildungseinrichtungen sollten diese Ökosysteme der Weltanschauungen fördern.“

Frage 3: BNE zielt neben aktuellem Wissen über die Welt auf Einstellungen und Handeln im Sinne nachhaltiger Entwicklung. Wie gelingt „Globales Lernen“ mit Herz, Kopf und Hand?

„Es gibt viele Beispiele dafür, wie Globales Lernen die Zusammenhänge zwischen unserem Lebensstil und seinen Auswirkungen auf Natur und Menschen sichtbar macht. Workshops wie die Reise einer Jeans, der Schokoladenworkshop, das Weltverteilungsspiel usw. sind Aktivitäten, die ein großes Bewusstsein für die Auswirkungen von Produktionsketten schaffen. Themen wie epistemische Gewalt, Rassismus und Eurozentrismus sind jedoch etwas schwieriger aufzudecken und bilden gleichzeitig die Grundlage für konkretere Formen der Ausbeutung und Unterdrückung. Betrachten wir zum Beispiel die epistemische Gewalt. Ein einfaches Konzept epistemischer Gewalt ist die Vorstellung, dass es nur ein einziges gültiges Wissen gibt und andere Wissenssysteme als veraltet, populär, rückständig, unwissenschaftlich, unterentwickelt, wertlos usw. abgestempelt werden. Dies hat enorme Auswirkungen darauf, wie wir unsere Welt wahrnehmen und wie wir uns die Zukunft vorstellen. Eine große Aufgabe des Globalen Lernens besteht darin, sichtbar zu machen, wie epistemische Gewalt, einschließlich spiritueller, moralischer und ethischer Vormachtstellung, ausbeuterische Beziehungen fördert. […]“

„Es gibt bestimmt viele Formen und Geschichten des Gelingens. Globales Lernen fordert uns jedoch auch dazu heraus, die Maßstäbe des Gelingens zu überdenken. Was heißt Gelingen? Heißt Gelingen quantitativer Wissenszuwachs, oder heißt es, dass wir in unserer Weltanschauung bestätigt werden, dass wir uns gut mit uns fühlen, so wie wir sind? All das kann natürlich Gelingen bedeuten und in vielen Fällen wäre es sicherlich auch gerechtfertigt von Gelingen zu sprechen. Doch wenn wir die globalen Herausforderungen wirklich ernst nehmen wollen, dann geht damit auch eine fundamentale Infragestellung der westlichen Lebensweise, d.h. auch unserer eigenen Leben einher. Eine solche Infragestellung ist sicherlich weder angenehm, noch bestätigend – sie ist irritierend und kann auch erschüttern. Daher kann ein Gelingen Globalen Lernens auch mit solch tiefen Irritationserfahrungen einhergehen

Aus meiner Perspektive wäre es wichtig, in solchen Prozessen von Irritation als lehrende Person nicht selbstgerecht zu werden. Nach dem Motto: Ich habe fundamentale Wahrheiten erkannt und ihr müsst diese unbequemen Wahrheiten nun auch aushalten können. Vielmehr ginge es darum zu fragen: Wie kann ich als lehrende Person Prozesse der Irritation nicht nur anstoßen sondern auch einfühlsam abfedern und pädagogisch begleiten? Zu einer solchen Begleitung gehört meines Erachtens auch eine kritische Haltung der lehrenden Person sich selbst gegenüber. Dazu gehört auch anzuerkennen, dass es keine Außenperspektive, oder archimedischen Punkt gibt. Stattdessen scheint es wichtig anzuerkennen, dass Lehrende immer auch Lernende sind.
[…]
Globales Lernen sollte demnach keine Schock Pädagogik sein, die einen Sender und Empfänger hat. Vielmehr verstehe ich Globales Lernen als eine Einladung zum Überdenken und zum gemeinsamen Handeln. Eine Einladung zum radikalen Überdenken bestimmter „Grundgewissheiten“ westlicher Lebensvorstellungen und Konsumgewohnheiten. Mit radikal meine ich eine Herangehensweise, welche die Wurzel (radis) der Probleme in den Blick nimmt und nicht bei der Symptombekämpfung stehen bleibt. […]“

Frage 4: Was gilt es beim „Globalen Lernen“ zu vermeiden und was hilft dabei?

Es ist äußerst wichtig, mit der Vorstellung aufzuräumen, dass das westliche Verständnis von Entwicklung (der technische und wissenschaftliche Fortschritt) als globale Leitvorstellung zu gelten hat. […]. Die Demontage des Entwicklungsmythos wird es uns ermöglichen, die Vielfalt der Alternativen zu betrachten, die es bereits gibt.
[…] Globales Lernen muss mit der Idealisierung von Entwicklung als Weg zum „guten Leben“ Schluss machen. Eine der häufigsten Erscheinungen dieser kolonialen Diskurse ist die Vorstellung, dass wir anderen Ländern helfen können, unseren Lebensstandard zu erreichen. Wie können andere Länder einen Entwicklungsstand erreichen, bei dem sie in den Genuss von Bildung, Gesundheit und politischen Systemen kommen, wie wir es haben? Das ist äußerst problematisch, denn wir verschweigen hier, dass ein großer Teil der Ressourcen und der Energie, die wir zur Aufrechterhaltung unseres imperialen Lebensstils benötigen, genau aus Systemen der Ausbeutung auf Kosten von Ökosystemen und Leben anderswo stammt. Und wir müssen nicht weit weg gehen, um das zu erkennen. Der Corona-Skandal bei Tönnies ist ein ziemlich gutes Beispiel für diese Realität.

Ein weiterer sehr wichtiges Phänomen, die es zu überwinden gilt, ist des „White Savior Complex. Es ist von grundlegender Bedeutung, sich klar zu machen, dass die Idee, dass wir (Deutschen) diese armen unterentwickelten, hoffnungslosen, hilflosen Menschen retten können, eine inhärent rassistische und koloniale Haltung ist. Ein Weg, dies zu überwinden, besteht darin, der Realität ins Auge zu sehen, dass ein Großteil der Armut, Gewalt und Korruption in anderen Ländern, insbesondere in europäischen Kolonien, von europäischen transnationalen Unternehmen und Regierungen gefördert und gewollt wurde und wird. Sobald wir erkennen, dass wir es sind, die Armut, Gewalt und Korruption im globalen Süden fördern und aufrechterhalten, können wir anfangen, über Alternativen nachzudenken. Sobald dies geschieht, werden wir meiner Meinung nach sehen, dass die Menschen sich mehr in politischem Aktivismus hier zu Hause engagieren, indem sie zum Beispiel versuchen, sinnvollere Lieferkettengesetze zu schaffen, ihre Konsumgewohnheiten zu ändern und die Produktion und den Konsum von regionalen und Bioprodukten zu fördern, sich gegen Militarisierung und für die Rechte von Flüchtlingen einzusetzen, als nach Bolivien, Tansania oder Kambodscha zu reisen, um beim Bau von Brunnen zu helfen.“

Wenn wir als Gesellschaft die großen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft meistern wollen, dann erscheint es wichtig, die Bereitschaft zu kultivieren anders zu denken und dabei auch Unsicherheiten (die mit Spurwechseln einhergehen) aushalten zu lernen. Wir müssen lernen zu verlernen, d.h. anzuerkennen, dass wir die Probleme nicht mit den gleichen Denkweisen lösen können, durch die sie entstanden sind. Globales Lernen sollte daher nicht dazu führen in einen blinden Aktivismus zu verfallen, der letztendlich nur das Ziel hat uns ein gutes Gefühl zu geben. Dem Leitsatz folgend: Hauptsache es ist was getan und zwar von uns! 
[…]
Und es ist auch wesentlich, nicht den Leistungsgedanken kapitalistischer Gesellschaften auf die Lösungssuche anzuwenden: Es geht nicht darum eine Heldin, oder ein Held zu sein. Wir sind schließlich Menschen und können auch nicht alles gleichzeitig: Globale Probleme verstehen, Systeme dekonstruieren, Alternativen aufbauen, Gemeinschaften gestalten und leben, Verhaltensweisen und Funktionsweisen kritisieren …. Niemand kann das alles gleichzeitig und es ist auch nicht ratsam, denn wenn wir wieder zu viel wollen, würden wir nur die Probleme reproduzieren. Wir müssen bei all den Herausforderungen auch Langsamkeit lernen, Leichtigkeit leben und wir müssen auch Fehler machen dürfen. 

Auch das wäre daher eine zentrale Aufgabe Globalen Lernens: Fehlerfreundlichkeit und Menschlichkeit kultivieren, um mit mehr Leichtigkeit und mit mehr Verständnis für die Conditio Humana globale Herausforderungen anzugehen.“

Frage 5: Wie können die Potenziale von Schüler:innen mit Migrationshintergrund oder deren Familienmitgliedern aus Ihrer Sicht beim „Globalen Lernen“ einbezogen werden?

„Bevor wir Menschen mit Migrationshintergrund in die Entwicklung des Globalen Lernens integrieren, müssen wir hier ein gutes Stück Antirassismusarbeit leisten. Der erste Schritt ist, das Wissen und die Erfahrungen, die Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Gesellschaft einbringen, wertzuschätzen und deutlich zu machen, dass dies unsere Gesellschaft bereichert und ein wesentlicher Teil von ihr ist. Ein Weg, dies zu erreichen, ist die Förderung der Wertschätzung kultureller Vielfalt in den Schulen. Veranstaltungen, bei denen kulturelle Ausdrucksformen vorgestellt und erlebt werden, sind eine gute Möglichkeit, diesen Paradigmenwechsel zu fördern. Gleichzeitig gilt es, die Idee der kulturellen Überlegenheit, die in Europa seit der Kolonialzeit weit verbreitet und etabliert ist, abzubauen.

Die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, Vereinen und anderen Organisationen, in denen Menschen mit Migrationshintergrund aktiv an sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten teilnehmen, ist für die Schulen unerlässlich. Hier finden sich Menschen, die Schülerinnen und Schüler inspirieren und dem Rassismus und der einseitigen Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund in Medien und sozialen Medien entgegenwirken können. Es muss klar sein, dass wir Menschen mit Migrationshintergrund nicht helfen müssen, ihr Potenzial zu entfalten, sondern dass wir aufhören müssen, sie zu unterdrücken.“

„Ich bin ja selbst eine weiße Europäerin und begebe mich schon in eine schwierige Situation, wenn ich aus einer privilegierten Perspektive über die Einbindung von Menschen mit sogenannten Migrationshintergrund spreche. Denn indem ich das tue, normalisiere ich meine Perspektive und damit auch jene der deutschen Mehrheit. Ich will daher eher meine Perspektive problematisieren und fragen, aus welcher Position und in welcher Situiertheit ich spreche. Denn das, was für mich normal ist, ist für andere Menschen nicht normal, oder vielleicht überhaupt nicht erreichbar (z.B. mein Lebensstandard, Zugang zu staatlichen Institutionen zu haben, mich in Sicherheit zu wähnen und davon auszugehen, dass es eine Grundlage des Rechts gibt, auf die ich mich verlassen könnte, wenn mir Unrecht widerfährt…usw.) 
Wenn ich mir dessen bewusst bin, dass ich als Person in Deutschland nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung sprechen kann und in der Welt sogar nur für einen verschwindend kleinen Bruchteil aller Menschen, dann muss ich ja auch wissen, dass ich andere Perspektiven und Stimmen einholen muss, wenn ich differenzierter sein und vor allem, wenn ich etwas über andere Lebensrealitäten lernen möchte.

Daher ist mir im Globalen Lernen auch Vielstimmigkeit wichtig. Vielstimmigkeit, die da bedeutet: Es sprechen nicht nur weiße, akademisch in Europa gebildete Menschen über die Probleme der Welt und klären auf, sondern es sprechen eine Vielfalt an Menschen mit verschiedenen Hintergründen über das, was sie in der Welt wahrnehmen und diskutieren darüber. Das wäre meines Erachtens eine wichtige Grundlage für einen wirklich globalen Dialog. […]. So gesehen müssen keine Personen, oder Gruppen integriert werden, die andere Hintergründe haben, sondern wir müssen uns alle immer wieder neu integrieren, in diese fragile Weltgemeinschaft der Menschheit.“

Frage 6: Die globalen Herausforderungen sind riesig und hoch komplex und gewohnte eigene Konsummuster ohne soziale und ökologische Ausbeutung kaum vorstellbar. Das kann leicht zu Resignation und Passivität führen. Auf welche Weise können Schüler:innen beim „Globalen Lernen“ besonders gut selbst aktiv werden, Verantwortung üben und Selbstwirksamkeit erfahren?

„Dies ist ein zentraler Punkt des gesamten Themas. Resignation und Passivität sind normale Reaktionen von Menschen, die keine Macht haben oder sich selbst als machtlos betrachten. […] Wir wissen sehr gut, dass ein sehr wichtiger Faktor bei der Bewältigung einer Herausforderung in jedem Bereich die Unterstützung durch Familie, Freunde und Kollegen ist. Bei der Bewältigung globaler Herausforderungen verhält es sich nicht anders. […] Das Gemeinschaftsgefühl, die Unterstützung durch die Gemeinschaft ist unerlässlich, um die Menschen zu befähigen, etwas zu unternehmen. Dies ist eine der größten Herausforderungen in hochindividualistischen Industriegesellschaften. […]

Es gibt zahlreiche Aktivitäten, die Schüler:innen unternehmen können, um aktiv zu werden und Selbstwirksamkeit zu erfahren. Von einem Bio-Schulgarten bis hin zu einem Forschungsprojekt zur Analyse der Auswirkungen der Ölpalmenproduktion oder der Teilnahme an der Organisation einer Demo. Wichtig ist, dass diese Aktivitäten in einer Gemeinschaft und in einem Umfeld stattfinden, in dem sich die Schüler:innen wohl fühlen und ihre Gedanken und Gefühle äußern können. Es ist auch von grundlegender Bedeutung, den Zusammenhang zwischen ihrem Lebensstil und dessen Folgen an anderer Stelle zu verdeutlichen und ihnen zu zeigen, dass sie durch ihr Handeln diese Auswirkungen verändern können. Nach dem Prinzip: Global denken, lokal handeln.“

„Danke, für diese Frage. Ich finde diese Blickrichtung äußerst wichtig. Ich denke auch, dass es wesentlich ist, anzuerkennen, dass die Auseinandersetzung mit globalen Herausforderungen nicht einfach ist und möglicherweise auch viele unangenehme Emotionen hervorruft. Diese können dann natürlich leicht zu Resignation, bzw. Passivität führen; sie können aber auch ins Gegenteil umschlagen und Aggression, bzw. verletzendes Verhalten gegenüber Anderen auslösen. Ich habe den Eindruck, dass eine Auseinandersetzung mit der Realität der Welt, so wie sie ist, starke Selbst- und Sozialkompetenz erfordert. Schließlich bedeutet es zum einen, sich einzugestehen ein Teil der Herausforderungen und damit auch Teil von ausbeuterischen Strukturen und globaler Ungerechtigkeit zu sein. […]
Zentral ist natürlich dann aber die Frage: Was kann ich tun? Hier ist nicht nur die Selbstkompetenz gefragt, sondern auch eine Sozialkompetenz … schließlich kann ich als einzelne Person wenig tun und fühle mich schnell überfordert, oder machtlos. Menschen müssen also lernen, sich zusammenzutun und gemeinsam zu agieren, sie müssen lernen, dass sie gemeinsam stärker sind, als alleine. Dies erscheint womöglich banal zu sein, ist es aber nicht[…] Daher erfordert es auch ein Stück Ver-Lernen, um gemeinschaftlich und solidarisch agieren zu können.

Wenn es also darum geht, Schüler:innen dabei zu unterstützen Modi der Selbstwirksamkeit zu finden, so erscheint es mir wichtig ehrlich zu sein. Zuallererst ehrlich gegenüber sich selbst zu sein und einzugestehen, dass Selbstwirksamkeit nicht einfach zu erleben, sondern vielmehr eine beständige Aufgabe ist, die fordernd ist und auch nicht immer gelingt.  Das nimmt den jungen Menschen den Druck
Zum Anderen erscheint es mir wichtig, die Beziehung zwischen uns Menschen und der Welt nicht nur negativ, sondern auch positiv zu verstehen.[…]. Daher mag ich auch das komplementäre Bild zum ökologischen Fußabdruck: Den Handabdruck gesellschaftlichen Engagements. Mit dem Bild des Handabdrucks rücken wir die positiven Einwirkungen des Menschen auf die Welt in den Mittelpunkt. Als Menschen hinterlassen wir nämlich nicht nur negative Spuren – beispielsweise unseren CO2 Abdruck – sondern auch wertvolle und produktive! Wir können beispielsweise einen Verein gründen, oder uns anderweiten ehrenamtlich engagieren.[…] Dies kann auch Schüler:innen dazu motivieren aktiv zu werden – trotz, oder gerade wegen der globalen Herausforderungen.“

Frage 7: Im Eine Welt Netzwerk Bayern e.V. engagieren sich zahlreiche entwicklungspolitische Initiativen und lokale Netzwerke sowie Weltläden. Welche Formen der Zusammenarbeit mit Schulen haben sich bewährt?

Eine sehr interessante und dynamische Erfahrung mit Schüler:innen ist der Workshop über den ökologischen Fußabdruck, bei dem die Schüler:innen einen einführenden und interaktiven Vortrag über den ökologischen Fußabdruck erhalten. Danach spielen sie das Spiel one-planet, bei dem sie auf spielerische Art und Weise die Auswirkungen verschiedener täglicher Aktivitäten und Konsummuster auf das Klima kennenlernen. Anschließend durchlaufen sie den ökologischen Fußabdruck-Parcour, bei dem die Schüler:innen durch das Sammeln von Punkten am Ende sehen können, wie viele Planeten sie benötigen, um ihren Lebensstil aufrechtzuerhalten und welche Auswirkungen dies auf die Ressourcen des Planeten hat. Am Ende dieses Workshops können die Schüler: innen ein Poster erstellen, um ihre Schlussfolgerungen zu präsentieren, und als Hausaufgabe ein klimafestes Essen zu Hause zubereiten.“

„Es gibt zahlreiche Formen der Zusammenarbeit zwischen Schule und Zivilgesellschaft – in unserem Falle, dem Eine Welt Netzwerk Bayern e.V. Die letzten beiden Jahre waren natürlich sehr von der Pandemie geprägt, daher haben wir auch viele digitale Bildungsformate ausgearbeitet. Grundsätzlich gibt es innerhalb des Eine Welt Netzwerk Bayern sehr viele Möglichkeiten (ob in Präsenz oder online) Themen globaler Gerechtigkeit in den Unterricht mit einzubinden. Über das Projekt „Bildung trifft Entwicklung“ gibt es die Möglichkeit individuelle Veranstaltungen organisieren, oder auch Projekttage auf die Beine zu stellen, die eine bestimmte Thematik aufgreifen. Wenn wir zum Beispiel einen Projekttag zum Thema der Klimagerechtigkeit anvisieren würden, dann könnten wir unterschiedliche Workshops für Schüler:innen zu verschiedenen Aspekten von Klimagerechtigkeit anbieten, die auch verschiedenste Fächer tangieren: Warum sprechen wir von einer Klimakrise? (Geographie/Physik/ Ethik) Was ist Gerechtigkeit?  (Ethik/ Wirtschaft) Was hat die Klimakrise mit Reichtumsverteilung zu tun? (Wirtschaft/ Geographie/ Ethik)? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Klimakrise, dem Kolonialismus und dem globalen Wirtschaftssystem heute? (Geschichte/ Geographie/ Ethik) Welche Lösungsansätze für mehr Klimagerechtigkeit gibt es – z.B. CO2 Bepreisung? (Mathematik/ Geographie/ Ethik) 

Das Besondere des Programms „Bildung trifft Entwicklung“ ist die Möglichkeit Menschen in den Unterricht einzubinden, die Erfahrungen aus Ländern des Globalen Südens mitbringen und globale Zusammenhänge somit eingängiger und lebensnah erläutern können. Für das Projekt „Bildung trifft Entwicklung“ ist das wesentlich – alle Referent:innen haben mindestens 12 Monate im Globalen Süden gelebt und/oder gearbeitet. Diese erfahrungsbasierte Wissensvermittlung ist wichtig, wenn wir jungen Menschen die globalen Herausforderungen näherbringen wollen. Schließlich scheitert es nicht an fehlendem Wissen, sondern vielmehr an der Fähigkeit zu verstehen, wie alles mit allem zusammenhängt und welche Rolle wir selbst in dem Ganzen einnehmen – im Negativen (z.B. durch unser Konsumverhalten), aber auch im Positiven (z.B. durch gesellschaftspolitisches Engagement). 

Es gibt auch sehr niederschwellige Formen der globalen Bildung. Mein Favorit ist  das Weltverteilungsspiel – über dieses können verschiedene Dimensionen globaler Ungleichheit abgebildet werden, z.B. Bevölkerungsverteilung, CO2 Ausstoß, Weltbruttosozialprodukt, Geflüchtetenbewegungen, Energieverbrauch…etc. […]“

Frage 8: Welche pädagogischen Materialien und Angebote können interessierte Schulen und Kitas beim Eine Welt Netzwerk Bayern e.V. abrufen? 

„Im Rahmen des Eine Welt Netzwerk Bayern e.V. gibt es viele Akteur:innen, die mit Bezug auf Materialien ansprechbar sind. Für die regionale Zusammenarbeit möchte ich explizit auf die Weltläden und insbesondere auf die Eine Welt Stationen hinweisen: diese sind nicht nur mit pädagogischen Materialien ausgestattet, sondern haben auch die Möglichkeit Bildungsarbeit anzubieten. Eine bayernweite Übersicht der Eine Welt Stationen finden Sie auf folgender Website: Link
Dort finden Sie alle Ansprechpartner:innen und Kontakte für weiterführende Informationen und regionale Zusammenarbeit in der Bildung, oder auch in anderen Bereichen. 

Ein weiteres Programm des Eine Welt Netzwerks, was für Lehrkräfte von besonderem Interesse sein könnte, ist das Eine Welt Promotor:innen Programm. Promotor:innen sind in ihrer Region ganz wunderbare Verbindungspersonen und können Sie mit Akteur:innen Globalen Lernens vernetzen, oder auch selbst Bildungsveranstaltungen vermitteln. Die Website des Promotor:innenprogramms finden Sie hier: Link

Das bereits erwähnte Programm „Bildung trifft Entwicklung“ bietet auch etliche Möglichkeiten für die Zusammenarbeit an Schulen. In Bayern befinden sich mittlerweile ca. 150 Referent:innen im Einsatz für Globales Lernen. Die Zahl der Referent:innen spricht nicht nur für sich, sondern auch für den bunten Erfahrungshintergrund, den alle Referent:innen zusammen mitbringen. Diese Vielfalt ermöglicht nicht nur eine Vielstimmigkeit und Diversität (mit Bezug auf den Hintergrund und die Situiertheit) sondern auch ein weites Spektrum an Inhalten Globalen Lernens. Im Rahmen des Programms „Bildung trifft Entwicklung“ können Sie sich Referent:innen an die Schulen einladen und diese Vielfältigkeit für sich und Ihren Unterricht nutzen. Alejandro Ceballos ist auch ein sehr aktiver Referent, der sich schon in vielen Kontexten für ein kritisches Globales Lernen in Bayern eingesetzt hat. Da das Programm großzügig gefördert wird, fallen nur sehr geringe Kosten für die Vermittlung von Referent:innen an. 
Für mehr Informationen zu „Bildung trifft Entwicklung“: www.bildung-trifft-entwicklung.de oder www.bte-bayern.de

Danke, für die interessanten Fragen.“

VIDEO: Eine Perspektive für globales Lernen (Alejandro Ceballos, BtE-Referent)